31. Juli 2016

Warschau - Der Jüdische Friedhof


Nachdem ich eigentlich auf den katholischen Ehrenfriedhof zurückkehren wollte, um noch eine Ecke des massiven, riesigen Geländes kennenzulernen, entschied ich mich quasi im letzten Moment stattdessen den nur wenig kleineren (33 Hektar) jüdischen Friedhof an der Okopowa Straße zu besuchen.


Da dieser u.a. als Museum dient, bezahlt man einen Eintritt von 10 Zloty und wurde gerade am Anfang vor den Gefahren durch lose Gräber, Steine, Mauern gewarnt, bzw. es gibt abgesperrte Bereiche. Das verliert sich aber schnell im Laufe des restlichen Friedhofs, so daß man selbst entscheiden muss, was sicher ist und was man lieber umgeht. 
Auf dem Gelände befinden sich ca. 200 000 Gräber, darunter auch Massengräber aus der Zeit des Warschauer Ghettos, außerdem gibt es einen Ehrenfriedhof für polnisch-jüdische Soldaten, sowie einen neuen Bereich, der heutzutage genutzt wird.
Auf dem derzeit geschlossenen, jüdischen Armenfriedhof ‚Bródno‘ in Praga, liegen zwar mehr Menschen begraben, doch die Fläche beträgt dort nur 5 Hektar.
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Waren es in Frankfurt besonders die segnenden Hände, die immer wieder auftauchten, so sieht man in Warschau eher die Hand des Wohltäters, der Geld in eine Tzedakah-Box steckt, neben den üblichen Symbolen von Levitenkanne, Chanukka-Leuchter und Löwen. 
Ich suchte jedoch nach Steinen mit dem Familiennamen als Grabzeichen und war froh, als ich eine kleine Sammlung fand.
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Sie befand sich in einer mit Brennesseln durchwachsenden Wiese, so daß ich sicher einen seltsamen Anblick abgab, so aufgeregt, die Kamera fest in der Hand und zwischendurch fluchend, wenn mich einen Nessel wieder besonders stark erwischt hatte (oder ich sie). 
Ich spreche kein Hebräisch, insofern konnte ich nur raten, was für Familiennamen es letztlich waren, aber ich nehme an, eine Familie Eichhorn oder Tannenbaum mögen darunter gewesen sein. - Genau diese Zeichen begegneten mir Tage später im Ethnografischen Museum noch einmal, denn eine Künstlerin hatte sich die gleiche Reihe an Grabsteinen als Inspiration für eine Scherenschnitt-Ausstellung ausgesucht.
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Diese Skulptur hat mich von allen Völkermord-Gedenkstätten auf dem Friedhof am Meisten berührt. Janusz Korczak, der Leiter des jüdischen Waisenhauses begleitet seine Kinder in den Tod im Vernichtungslager Treblinka. 


Der Friedhof scheint mitunter in gewissen Quadranten vom Wald befreit zu werden, die dann einen traurigen Anblick abgeben, mit ihren zerstörten Grabstellen, bis diese dann letztlich von hohen Wiesen überwachsen werden.
Natürlich zerstört nicht nur der Wald den Friedhof, sondern viele Steine sind voller Einschusslöcher aus dem 2.Weltkrieg.
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Ohnehin ist Geschichte auf einmal ganz nahe, wenn man diese 200 000 Gräber sieht und sich überlegt, daß mindestens noch mal genauso viele Menschen aus dem Warschauer Ghetto eben nicht hier liegen, sondern in den deutschen Gaskammern ermordet wurden. - Und der Friedhof gehört dieser zerstörten, verschwundenen Gemeinde, deren Menschen nicht mehr da sind, um sich um dessen Pflege zu kümmern - in einer Stadt, die ihre komplette Altstadt wieder aufgebaut hat, aber nicht ein einziges Haus des Warschauer Ghettos. 
Mit diesen Gedanken verließ ich die am stärksten überwaldeten Bereiche des Geländes und sah mir lieber die prunkvollen Ehrengräber der Religionsführer, Reichen und Berühmten an, die sich nur wenig von ihren katholischen Nachbarn unterschieden.
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Dann fiel mein Blick plötzlich auf meine Füße und Beine, die von Zecken übersäht waren. Ich konnte sie zum Glück alle entfernen bevor sie sich richtig festbissen, aber das nahm ich als Zeichen meinen Besuch zu beenden und schnell noch einmal ins Hotel zurückzukehren um etwaige übersehende Spinnentierchen abzuduschen. 
Während dieser Woche in Warschau kamen wir leider nicht dazu das Jüdische Museum (und viele andere der großen Museen) zu besuchen - das wartet auf uns bei einem zukünftigen Aufenthalt in der polnischen Hauptstadt. 

27. Juli 2016

Wilanów und Łazienki Park

An zwei darauffolgenden Abenden besuchten A. und ich Wilanów, sowie den Łazienki Park.

Schloss und Park Wilanów


Als wir den Park Wilanów besuchten, wussten wir, daß das dazugehörige Schloss bereits geschlossen war, doch da wir gerade erst das Stadtschloss besichtigt hatten, war unser Bedarf an Stuck und Gold ohnehin erst einmal gedeckt. 
Stattdessen erfreuten wir uns am warmen Licht der Sonne, bestaunten die barocken Ornamentgärten und den englischen Landschaftspark mit Teich und Teepavillon, sahen den Brautpaaren bei ihren Fotoshootings zu und der Rosengarten stand in schönster Blüte.


Dieser Ort befand sich einst weit außerhalb der Stadt (Wilanów ist die eingepolnischte Version des italienischen ‚Villa Nuevo‘), es ist immer noch die Endhaltestelle der Buslinie - doch dahinter wachsen komplett neue Stadtteile und Kirchen in die Höhe, die möglicherweise auch die Sichtachsen in Wilanów beeinträchtigen können.


Das Schloss wurde überall als polnisches Versailles beworben, ich würde es eher mit Potsdam vergleichen. Interessant fand ich dabei die vielen kunstvoll geschmückten Eingangsportale, bei denen keine als ‚die‘ Haupttür heraussticht.

Łazienki Park


Wenn man den Namen übersetzen würde, hieße es ‚Park der Bäder’ denn bei dem namensgebenden Palast auf einer kleinen Insel im Łazienki See, handelt es sich um einen Badepavillon. Diese größte Parkanlage in Warschau befindet sich nur eine kurze Busfahrt von der Innenstadt entfernt.
Als wir sie besuchten, war der eigentliche Palast ebenfalls geschlossen (wegen einer privaten Veranstaltung) aber wir sahen einige andere Gebäude im Park, wie die Skulpturengalerie und das Hoftheater in der Alten Orangerie; sowie das sog. Weiße Haus (eines der wenigen mit Originalausstattung der Tapeten und Holzfußböden), errichtet für die Geliebte des polnischen Königs Stanisław II. August.


A. fand dieser Park am Schönsten, was auch an den freilaufenden Pfauen liegen könnte (die überall Narrenfreiheit genossen), während mir die Gondeln mit Baldachin auf dem See sehr gefielen.
Hinter dem klassizistischen Rundtheater befand sich ein kleines Café, in dem wir einkehrten und das mit dem wahrscheinlich schlechtesten Service aufwartete, der uns bisher in der Stadt begegnet war, so daß es bei Tee und Bier blieb.


Im warmen Licht der Abendsonne sahen wir uns letztlich das imposante Chopin-Denkmal im Jugendstil an (vor dem an den Wochenenden Chopin Konzerte bei freiem Eintritt stattfinden) und dann fuhren wir zurück in die Innenstadt.
Wenn man alle Gebäude, Museen und Gärten der Parkanlage sehen und besichtigen möchte (der Botanische Garten der Universität befand sich auch gleich nebenan) muss man vermutlich einen Tag einplanen. 

23. Juli 2016

Neon Museum


Ein wichtiger Standort für den Wandel in Praga ist die sog. ‚Soho Factory‘, ein Kunst- und Museums- Campus in den weitläufigen Gebäuden einer früheren Motorroller-Fabrik.
Wenn man aus der eher tristen, fast schon verlassen wirkenden Umgebung das Gelände betritt, ist man erst einmal etwas verwirrt: Wo kommen all diese Menschen plötzlich her, die gepflegten Parkanlagen mit moderner Kunst, die Restaurants und Geschäfte.
Mein Ziel, das ‚Neon Schild Museum‘ passte da schon etwas besser ins Bild. In den 1960er und ‘70er Jahre folgte Warschau zwar den russischen Vorgaben beim Stadtausbau, doch bei der Dekoration der neuen Gebäude schaute man weit nach Westen. So entstanden unzählige Neon-Schilder, erdacht von den besten Künstlern und Grafikdesignern der Zeit um Restaurants und Theater, Sportgeschäfte und Hotels zu bewerben.

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Später veränderte sich der Geschmack und die Neonschilder verschwanden schnell - bis sich das Neon Museum dessen annahm, anfing die Schilder zu sammeln und auszustellen.
Zusammen mit der letzten Firma, die noch Neon Schilder auf die alte Art herstellt, werden die Ausstellungsstücke nach und nach restauriert.

20. Juli 2016

Praga - Wandgemälde


Einer der Gründe warum die Touristen nach Praga fahren, sind die wandfüllenden Gemälde, die jedes Jahr beim ‚Street Art Doping‘ Festival von internationalen Künstlern gemalt werden. 
Ich suchte mir vor meinem Besuch meine Lieblingsbilder heraus und folgte den Adressen dann wie einer Schnitzeljagd durch die Straßen. - Das dauerte viel länger als ich dachte, die Strecken hatte ich in der sommerheißen Stadt etwas unterschätzt. Wahrscheinlich haben die Touri-Busse, die einen bis zum jeweiligen Ort vorfahren, auch etwas Gutes ^^

‚Spielplatz‘ von Ernest Zacharevic erinnert daran, daß es in Warschau nicht mehr genug Spielplätze gibt.

Warsaw Fight Club‘ von Conor Harrington, soll Männer aus historischen Zeiten lebendiger darstellen, als die üblichen steifen Gemälde in Gala-Uniform. Es wurde in nur drei Tagen gemalt und verursachte einen kleinen Skandal: Man hatte Angst, es würde die Gewaltbereitschaft im Viertel fördern.

‚Goose‘ von Diego Miedo und Schulklassen des Viertels, ein Gemeinschaftsprojekt während der EM in 2012.

‚Bird & Snake‘ des chinesischen Künstlers DALeast, direkt neben dem Dworzec Wschodni Busbahnhof.

Und zum Schluss meiner Tour: Das bekannteste Wandbild: ‚Castle‘ vom britischen Künstler Phlegm entstand 2013.

18. Juli 2016

Warschau - Der Stadtteil Praga


In manchen Artikeln habe ich gelesen, daß Praga der Ort ist, an dem Warschau wirklich lebt und nicht nur alte Geschichte neu inszeniert wird. Ich denke, daß Warschau überall gelebt wird, selbst in den Hinterhöfen der wiederaufgebauten Altstadt, aber Praga ist ein Stadtteil, der mich neugierig gemacht, aber auch berührt hat. 
Zum einen ist es ein Ort im Wandel, von Armenviertel zu Künstlerinitiativen, denen die übliche Vorhut von Biobäckereien, Stadttouren und ersten boxartigen Apartmentanlagen mit Dachterrassen folgt, die so oder so ähnlich weltweit gebaut werden.


Häufig wird Berlin zum Vergleich mit der Situation in Praga herangezogen und zum Teil habe ich mich wirklich in meine früheste Kindheit zurückversetzt gefühlt, samt der ‚Zille‘ Struktur von Mietskaserne, mit Hinterhof, mit Hinterhof, mit Hinterhof.


Doch das ist ein Ort an dem auch seit dem Ende des Ostblocks nicht viel an den - seit dem Krieg mit Schusslöchern übersäten - Häusern passiert ist, deren Fassaden irgendwann abgefallen sind; zurück blieben die feuchten Ziegelwände und Reste von schmiedeeisernen Balkonen.

 
Um die Fußgänger vor Steinschlag zu schützen, wurden über dem Erdgeschoss Gitter angebracht. Diese Gitter sieht man auch in anderen Teilen der Stadt, doch hier gibt es durchgängig übergitterte Straßenzüge.


Nach dem Krieg blieben die Häuser unsaniert stehen, sie sollten durch Plattenbauten und Punkthochhäuser ersetzt werden (das ist so auch in vielen Teilen des Viertels passiert), doch als man den historischen Wert der alten Häuser entdeckte, wurde dieser großflächige Abriss gestoppt. 
Heutzutage werden einzelne Häuser, bzw. Straßenzüge saniert, während die Investoren in anderen Bereichen einfach etwas länger warten müssen bis die Gebäude in sich zusammenfallen.


Ich war in gewisser Weise fasziniert, von diesen halben Ruinen, den eingesunkenen Treppen in den offenen Treppenhäusern, den Hunden, Katzen, Kindern, der zahlreichen Straßenkunst und kurz hinter der modernen Shopping Mall, gab es selbst einen Basar mit seinen wellblechverkleideten Ständen.


Einen Kontrast zu all dem bildeten die gepflegten Madonnengärtchen, die man in vielen der Hinterhöfe fand.
Und während ich noch ganz berauscht war von diesen Eindrücken, brach eine Art Schockstarre ein - das sind (zum Großteil) keine Museen, Kunstprojekte oder Kulissen, sondern dort wohnen tatsächlich noch Menschen. 
Es hatte die ganze Woche nicht geregnet und doch tröpfelte es von den Wänden, in manchen Gebäuden war das Vorderhaus gesperrt, doch in den dunklen Hinterhöfen wohnte noch jemand und es kam mir plötzlich unvorstellbar vor so zu leben. 


Viele dieser Häuser wären wahrscheinlich in Deutschland wegen Baufälligkeit und einem Dutzend anderer Gründe gesperrt, überhaupt wie heizt man so etwas im Winter? 
Und da hatte ich plötzlich genug von den ‚authentischen‘ Armutsgebäuden, durch das die Touristen in ihren Nostalgie-Polenbussen kutschiert werden - doch dann sah ich die neuen Fenster, und die Häuser, die tatsächlich bereits saniert wurden und ich hatte mich wieder gefangen. Ja dieses Praga, dieser Charakter wird verschwinden, wahrscheinlich schon im nächsten Jahrzehnt - aber es tut mir nicht so richtig leid.


Etikette: Ich habe bei meinem Besuch Touristen gesehen, die mit ihren DSLRs und großen Objektiven die Menschen in Praga abfotografierten als befänden sie sich im Zoo. 
Ich weiß, daß die selbstgeführten ‚walking tours‘ bis in die Hinterhöfe so von der Stadt erdacht wurden, trotzdem muss nicht jeder der dort wohnt, glücklich damit sein zum Fotoobjekt zu werden. Die herzzerreißend weinende ca.12-Jährige an der Ecke; die alten Trinker im nächsten Hof? - Sicher alles tolle Motive um die ‚raue‘ Geschichte des Viertels glaubhaft zu machen, aber ich entscheide mich meistens dagegen. 
Ich fotografiere Straßenszenen lieber mit der wenig störenden Handykamera; und manchmal ist es gut, wenn man vorher die Kamera zeigt und auf ein Nicken wartet - dazu benötigt es keiner Kenntnisse der Landessprache.