Mehr als zwei Monate nachdem wir aus Florida zurückgekommen sind, wäre es vielleicht an der Zeit endlich den Abreise-Artikel zu schreiben. Ich weiß auch gar nicht wie es passieren konnte, daß ausgerechnet nur dieser eine Tag fehlte (von meinem Deutschland Aufenthalt fehlt noch eine gute Woche, die ich nicht geschrieben habe :o) aber irgendwie kam immer etwas anderes dazwischen und die Zeit verging. Nun aber: Wir erinnern uns an den Gewaltmarsch durch drei Erlebnisparks in den drei Tagen zuvor, dabei drei Teilbereiche von Disney nur am Vortag allein.
An diesem Abreisetag ließen wir es deshalb äußerst langsam angehen, lass die anderen zu den Bussen rennen um sich in den Parks mit ihren künstlichen Erlebniswelten berieseln zu lassen, wir gingen frühstücken.
Es war ein schöner warmer Tag, so daß wir uns zum Kaffee trinken an den Hotelpool setzten. Fast schien es, daß nun da wir abreisen alles warm und schön und toll werden würde. Ein Blick in den Wetterkanal beruhigte uns dann aber wieder, in der Nacht würde es in New York 6 Grad wärmer sein als zur gleichen Zeit in Florida. Dann, so dachten wir uns, können wir auch beruhigt wieder zurück ins winterliche Vermont reisen.
Nach unserem ausgiebigen Frühstück/Brunch machten wir einen kleinen Erkundungs-Spaziergang in der Umgebung. Wir sahen uns das Konferenzzentrum der Stadt an und liefen bis zum Parkplatz von SeaWorld.
Zwischen den Hotels und SeaWorld befanden sich große, urwaldähnliche Waldstücke in denen wir weiße Reiher, Adler und Eidechsen entdeckten. Die Bäume schienen allesamt lange Bärte aus Flechten zu tragen. Wir trauten uns jedoch nicht so weit hinein in den Dschungel, da wir uns nicht so sicher waren, was für Tiere dieser subtropischen Gegend uns eigentlich gefährlich werden könnten, bzw. wie hoch die Alligatorendichte in den von Wasserläufen durchzogenen Waldstück eigentlich war. (Auch wenn ich mir eigentlich ziemlich sicher war, daß Alligatoren bei so kühlen Temperaturen wohl eher unbeweglich in der Sonne liegen... Aber dann riskiert man für „eigentlich ziemlich sicher“ doch lieber nicht seine Gesundheit.)
Danach setzen wir uns ins Taxi und es ging recht früh zum Flughafen.
Als wir einchecken wollten erschien auf dem Bildschirm die Frage: Wollen Sie Ihren Flug auf einen anderen Tag umbuchen, wir klickten „Nein“ und bekamen die Anweisung uns beim Abfertigungsschalter zu melden. Na toll, der Flug war überbucht. Nunmehr standen wir in einer langen Schlange wütender Reisender, die allesamt der Meinung waren, daß Überbuchungen von Fliegern an einem Sonntag Nachmittag aus einer Ferienregion heraus nach New York generell verboten werden sollten. Wir konnten ihnen nur beipflichten. Die Schlange kroch dahin und die Zeit lief uns langsam davon, jeder hatte die bange Frage ins Gesicht geschrieben ... wer kommt nun noch mit. Auf den Bildschirmen erschienen immer neue Nummern von Reisenden, die es geschafft hatten, nur wir waren nicht dabei. Vor uns in der Schlange stand eine junge Familie mit einem sehr kleinem Baby, das unaufhörlich schrie. Sobald die Mutter es einmal kurz in den Arm nahm beruhigte es sich sofort, aber offenbar hatte sie kein Interesse dazu. Das regte Anand besonders auf, aber ich erklärte ihm kurz die Probleme von postnataler Depression und er verkniff sich wenigstens weitere Kommentare. Die Frau sah kein bißchen arrogant oder böse aus und so schoß mir dieses Krankheitsbild, in dem man sich 9 Monate auf sein Kind freut nur um nach der Geburt im Hormonchaos zu versinken, sofort in den Kopf.
Die angekündigte Abflugszeit kam und verstrich und wir standen immer noch in der Schlange. Eigentlich rechneten wir schon fast nicht mehr mit einem Platz, bis es dann doch plötzlich klappte und das sogar nebeneinander sitzend. Wir freuten uns sehr, aber die Schlange hinter uns wurde nicht kleiner, so daß es wohl viele gab, die sich nach einem Alternativflug umsehen mussten. Letzlich war das Flugzeug bis auf den allerletzten Platz besetzt, sogar auf den Plätzen für die Stewardessen neben der Tür saßen Passagiere, was ich nicht einmal für zulässig hielt. Mit einer Stunde Verspätung und ohne weitere Komplikationen ging es daraufhin zum Chaos Flughafen JFK. Dieser machte seinem Namen alle Ehre und wir landeten im Internationalen Flügel, was für neue Irritationen sorgte. Ein Bus brachte uns dann zum Inlands-Terminal von Delta. Zum Glück hatten wir sowieso eine dreistündige Wartezeit auf JFK so daß wir unseren Anschlußflug jedenfalls nicht verpassen konnten.
Vor dem Gate sitzend machten wir die Bekanntschaft mit einem Baby namens Chandini (heute relativ ungebräuchlicher Mädchenname, hindi „Mondlicht“) und Anand fragte die Mutter etwas verblüfft, ob sie eine Verbindung zu Indien hätte. Nein, meinte sie, sie hätte mit ihrem Mann nur in einem Babynamen-Buch geblättert und den schönsten Namen herausgesucht. Als bald verließen uns Chandini samt Mutter um ihren Flug nach Raleigh-Durham, North Carolina anzutreten. Nun setzte sich eine ägyptische Familie mit ihren drei Kindern zu uns. Die Kinder identifzierte ich anhand ihrer Kleidung einwandfrei als Jungen, bis sie ihre Pudelmützen abnahmen und sich als ach ja, Mädchen, äußerst müde Mädchen heraustellten. Die Mutter war tief verschleiert, der Vater ratlos. Sie hatten es gerade noch vor den Aufständen aus Kairo herausgeschafft (zu der Zeit wusste noch keiner, wie friedlich oder chaotisch diese Revolution werden würde), nach 8 Stunden Flug folgten drei Stunden Sicherheitschecks, so daß sie ihren Anschlußflug verpassten. Am Delta Schalter gab man ihnen einen neuen Flug für 12 Stunden später. Irgendwann meinte der Mann, daß sie nach Raleigh-Durham weiterfliegen müssten. Moment mal, war das nicht der Flug für den gerade das Boarding lief, Baby Chandinis Flugzeug? Anand schnappte sich den Mann, sie gingen zum Gate, wurden an einen Schalter daneben weitergereicht und nach einigen Diskussionen dann, ja es gab noch Plätze und die Familie schaffte es im letzten Aufruf ins Flugzeug. Der Vater hatte Tränen in den Augen und freute sich, daß seine Kinder in dieser Nacht anstatt auf dem Flughafen, im eigenen Bett schlafen werden können. Nach diesen bewegenden Ereignissen verging die restliche Wartezeit ohne weitere Geschehnisse, wir betraten das Mini-Flugzeug nach Burlington und ich saß wieder besonders gerade und freischwingend, so daß die holprigen Starts und Landungen meinem Rücken nicht weiter zusetzen würden. Wir nahmen ein Taxi nach Hause, schloßen die Haustür auf und standen vor unserer Wohnungstür, die offen stand und nur notdürftig mit einem Nagel und Band zugehalten wurde. Oh Nein! dachten wir, die Katzen, ein Einbruch, eine Katastrophe?! Wir öffneten die Tür Linus und Shweta kamen uns freudig entgegen, nichts fehlte, außer, daß wir eine offene Wohnungstür hatten. Wir riefen Anands Kollegen an, ob er bei seinem letzten Besuch am Samstag vergessen hatte die Tür zuzuschließen, er wusste es nicht so genau, hurra. Unsere Nachbarn erklärten uns, daß sie die Katzen am Sonntag im Treppenhaus umherirren sahen und wir, nach Betreten der Wohnung nicht auffindbar. Der Vermieter meldete sich nicht und so entschlossen sie sich, zu der Nagel und Band Methode und waren sehr froh, daß wir noch am gleichen Abend wieder auftauchten. Für den Tag hatten wir genug Drama erlebt, nach einem schnellen improvisierten Abendbrot endete selbiger unzeremoniell in sofortigem Schlaf.
Am nächsten Morgen sah ich Linus in einer sehr seltsamen Weise an der Tür hochspringen, dabei immer höher und höher werdend und ich war mir nicht mehr so sicher, ob die offene Tür nur an der Schußlichkeit des Kollegen lag, denn es könnte möglich sein, daß die Tür von Linus selbst geöffnet wurde.
Seitdem schließen wir immer auch ein zweites Schloß ab, zittern etwas in Gedanken, was alles hätte passieren können und freuen uns so vernünftige Nachbarn zu haben.