Als ich A. kennenlernte lebte er in Berlin inmitten
einer großen indischen Gemeinschaft, deren Aktivitäten sein Leben bestimmten.
Er brauchte sich keine Sorgen zu machen was am Wochenende
passieren würde, da ohnehin zu viele Dinge organisiert wurden und die Frage war
nur wie man all das kombinieren, welche Auswahl man treffen würde. Darüber
beschwerte er sich, da er das Gefühl hatte, daß sein Leben durch andere
vorbestimmt wurde (heutzutage nennt er es die beste Zeit seines Lebens). Mit mir
änderte sich das... wenn wir uns jedes zweite Wochenende sahen, war Freunde
besuchen ein Teil des Programms, aber eben nur für ein paar Stunden an einem Abend
und nicht rund um die Uhr.
Ich bin selbst in meiner Eigenschaft als Norddeutscher
kein besonders geselliger Mensch und brauche nicht hunderte an Freundschaften
zum Glücklichsein. Das ist aber nicht mit unsozial zu verwechseln, denn ich lebe
nicht als Einsiedler im Wald und spreche mit Bäumen, sondern mir reichen schlichtweg
einige wenige, aber dafür gute Freunde um durchs Leben zu gehen. Damit umgehe
ich auch die Ränkespiele, die sich in großen Gruppen immer einschleichen zum
Thema Person N ist gerade doof und mit der reden wir nicht, während Person C
eigentlich blöd aber trotzdem im Moment ein Superfreund ist, während die
Personen D-G gerade nicht stattfinden, H-M nur ein bißchen usw. Das finde ich zu
verwirrend.
A. schätzte diese Eigenschaften an mir, denn ich
brauchte nicht notwendiger Weise große Gruppen an Menschen um mich herum um
mich wohl zu fühlen. Was ihm offenbar nicht bewusst war ist, daß im Gegenteil
große Menschengruppen mich unbehaglich machten.
In Berlin war ich es dann, die die Wochenend-Aktivitäten
vorschlug, denn A. äußerte selbst auf Nachfrage selten eigene Wünsche... So gingen
wir zusammen ins Kino, sahen uns Parks und Museen an, gingen Einkaufen... in
gewisser Weise war es meine glücklichste Zeit unserer Beziehung... (A.s
Meinung heutzutage dazu lautet: Immer musste ich nur alles machen was du
wolltest.) Nach Indien, dem viele Menschen überall Overkill... ging es in
Kanada ähnlich weiter, wir würden Freunde an ein oder zwei Abenden der Woche in
einem Pub sehen oder etwas am Wochenende unternehmen, hatten aber auch
ausreichend Zeit alleine zur Verfügung, um Essen zu gehen, um uns Independent
Filme im Bytowne Cinema anzusehen, natürlich auch um Sachen zu erledigen, für
die man nur am Wochenende Zeit hat.
Dann kamen wir nach Burlington und wurden erneut Teil
einer indischen Gemeinschaft und statt nach einer Balance zwischen Freunden und
Familienleben zu suchen („Ich habe hier keine Familie sondern nur meine Frau“),
waren es die unzähligen Freundschaften die Vorrang bekommen mussten. Nun war er
es, der Aktivitäten häufig über meinen Kopf hinweg entschied und organisierte.
Zuerst glaubte ich ihm, daß er tatsächlich vergessen hatte mich zu fragen, aber
irgendwann schlich sich doch ein Muster ein: Am Freitag würde er alle möglichen
Leute anrufen, etwas festlegen, organisieren und mir dann am Abend mitteilen,
wie das Wochenende, der Ausflug, wer uns besuchen kommt usw. aussehen wird. Das
konnte ich dann entweder schlucken, mitunter auch zähneknirschend, ... bei
dringenden Erledigungen konnte ich es nicht. Auf Nachfragen i.S. von wann
willst du dann Sache 1-3 erledigen oder glaubst du wirklich, daß ich kaum in der
Lage frei zu atmen, den ganzen Tag umherwandern kann? ... kam dann der
theatralische Umschwung... „ich kann natürlich alle Leute, mit denen ich seit
einem halben Tag debattiere wer wen wann abholt wieder anrufen und ihnen absagen,
das ist kein Problem...“ wohl wissend, daß ich das in den meisten Fällen nicht
tun werde und stattdessen eher alleine losmarschiere und ihn machen lasse.
Wenn
es nicht anders geht, erfolgen dann - natürlich unter Hinweis auf die
unverbesserliche Frau - die entsprechenden Anrufe, was meinen Ruf
selbstverständlich immens verbesserte. A. erzählt mir regelmäßig, daß seine
Freunde sich über ihn lustig machen, weil er auf seine Frau hört, sie haben
sogar angefangen mich nur noch Madam zu nennen, während ich mich darüber wundere ob er
sich schon immer so kindisch benahm oder die Entwicklung nur in den letzten
Jahren rückwärts verlief.
Es half der Sache auch eher nicht, daß ich in einem
entnervten Augenblick meinte, daß ich mit seinen Freunden überhaupt nichts mehr
zu tun haben will, denn der Teufelskreis ist da... wir unternehmen Einkäufe bei
Walmart zusammen, Waschmittel und Katzenstreu werden zu den seltenen
gemeinsamen Momenten, während er mit seinen Freunden Filme ansieht und zum
Grillen an den Strand fährt.
In dieser Woche kam mit Diwali ein weiterer
Höhepunkt des Dilemmas. Einige seiner Freunde hatten eine große Party in ihrem
Haus veranstaltet und ich war krank. Am Wochenende beschlossen wir deswegen Diwali
zu Hause zu feiern. Was ich nicht als zu wichtig wertete war, daß A. täglich
mit den Einladenden debattierte, ob ich nicht doch gesund genug sei um an der
Feier teilzunehmen.
Nun, ich war weniger krank am besagten Mittwoch und wir
überlegten tatsächlich zu der Feier zu gehen, schon alleine weil man sich dann
ums Abendbrot keine Gedanken machen musste... als er mir dann aber sagte
wieviele Leute sich anläßlich des festlichen Ereignisses in deren Wohnzimmer
tummeln würden, dachte ich nur Oh Gott, das wird schrecklich... alle reden
hindi, A. redet mit allem und jedem und ich werde alleine auf der Couch
sitzen und vermutlich das Times Magazine lesen und den Stundenzeiger der Uhr
anhimmeln. Also sagte ich - unter Hinweis auf meine Gesundheit - ab (was nicht
nur Feiglings-Verhalten war, schließlich wusste ich nicht, ob ich noch andere
Leute anstecken konnte) und dachte mit dem vorherigen Plan - wir feiern zu Hause
- weiterzumachen.
Ich hatte bereits vorher ein Diwali Geschenk für A. gekauft, hing eine der bunten Lichterketten auf, die ich mühsam von der
Weihnachtsdeko fernhalte und die er so schön findet und dekorierte das Haus mit
Öllämpchen und Kerzen um die Bauarbeiten in der Wohnung herum (das
Sprinklersystem inklusive vieler schwarzer Rohre wird immer noch eingebaut...) ich
kaufte alles für das Abendessen ein und wartete auf A. - Nun, das erhoffte
Lächeln konnte ich nicht auf sein Gesicht zaubern, daß er jedoch absolut wütend
und enttäuscht war, traff mich. Bis zu diesem Augenblick hatte ich schlichtweg
nicht gewusst, daß er so dringend zu dieser Party gehen wollte, ich dachte
Diwali feiert man in der Familie... aber richtig, er hat gar keine Familie
hier... und im Kern findet das Fest eben nur statt, wenn viele Menschen um
einen herum sind. Wir beendeten den Tag mit einem Riesenstreit, er teilte mir
mit das schlimmste Diwali Fest seit 32 Jahren erlebt zu haben und dann ging er
ohne etwas zu Essen ins Bett, während ich weinend die Dekorationen entfernte...
für wen machte ich mir überhaupt die Mühe ... und die ganze Nacht nicht
schlafen konnte. Wahrscheinlich eher aus Stress als wegen der Erkältung bekam
ich einen der schlimmsten Asthmaanfälle seit langem, der nicht nur Mini-Blutgefäße
in meinen Augen, sondern auch in Ohren und Kehle platzen ließ (weswegen meine
Stimme erneute Reibeisen-Eigenschaften bekam) und ich fast schon symbolisch aus
sämtlichen Kopföffnungen blutend (keine
Sorge nur ein ganz kleines bißchen blutend) gegen 6 Uhr morgens voller
Erschöpfung endlich einschlafen konnte. Wahrlich ein dramatischer Abgang.
Am nächsten Morgen wollte A. ohne mich aufzuwecken zur
Arbeit gehen, ich zwang ihn mehr oder weniger mit mir wenigstens zum
Frühstücken zu Panera Bread zu gehen. Dort spielte er so lange mit seinem
Ehering, bis dieser herunterfiel, davonrollte und beim besten Willen nicht mehr
gefunden wurde... woran ich selbstredend auch schuld bin ...
Das einzig Tragische oder Ironische an der Angelegenheit
ist, daß eine Eigenschaft, die einmal als gut an mir eingestuft wurde:
unabhängig, braucht keine Gruppen um etwas zu unternehmen, nun als so besonders
niedrig und verachtenswert gilt, was mich mit einer gewissen Ratlosigkeit
erfüllt: Ich-weiß-auch-nicht-was-man-da-machen-kann -Charakter-umoperieren-vielleicht...?
Eine meiner Hoffnungen ist, daß wir Burlington in einem
guten halben Jahr verlassen werden und mit einem neuen Freundeskreis auch
wieder von vorne anfangen können, mit Leuten die eben nicht „wissen“ daß ich
nur die Spaßbremse im Hause bin. Ein wenig befürchtete ich jedoch, daß das
nichts ändern wird, wenn A. mir nachwievor die Position der „Bösen“ zuweist,
die einzige die vernünftig, „erwachsen“ und „Nein“ sagen muss, wenn es erfordert
ist :)