Die letzten Tage war es ungewöhnlich warm und sonnig im Vermonter Herbst. Es war zwar nicht so warm wie in anderen Landesteilen, aber 25°C konnte man schon erreichen und einen kleinen Sonnenbrand gab es gratis dazu. Am Montag machte ich mich auf die Wasserfälle am Winooski Fluß zu besuchen und gestern ging es mit dem Fahrrad durch Wald und Wiesen des Intervale, einer tiefergelegenen Fluß-Aue neben der Stadt.
Ich fahre und wandere gerne durch diese ländlichen Region zwischen den Stadtteilen Old und New North End, man kann den Bauern bei der Arbeit zusehen und Hundebesitzer kommen eher selten dorthin, denn sie bevorzugen die Radwege am Seeufer.
Selbst Wochen nach dem Hurrikan ist man im Intervale immer noch damit beschäftigt die Schäden auszubessern. Die Straßen sind voller Löcher, Felder deren Ernte aufgrund verseuchten Flutwassers nicht verkauft werden darf, werden umgepflügt, zerstörte Treibhäuser entsorgt.
Einige der Minifarmen werfen das Handtuch, denn nach vier Überflutungen in einem Jahr bleibt ihnen nichts anderes übrig. Vielleicht sollten die Menschen endlich einsehen, daß es Gebiete gibt, die trotz fruchtbaren Ackerbodens nicht landwirtschaftlich genutzt werden können... zumindest nicht i.S. eines Berufes, Privatgärten wären vielleicht eher bereit das Flut-Risiko einzugehen. Ich könnte mir aber auch einen großen Park vorstellen, der durch Schafsherden gepflegt wird. Die Schafe könnten bei Flut jeweils auf den Hängen weiden und bei trockenem Wetter innerhalb der Aue das Gras kurzhalten. (Mähähhh ;)
Trotz all des menschlichen Dramas war der Tag jedoch wunderschön, die Bäume strahlten in Gold- und Rottönen um die Wette, die Frösche am kleinen Tümpel quakten und für Eichhörnchen und Streifenhörnchen hat jetzt die wichtigste Zeit des Jahres begonnen, denn es gilt die Wintervorräte anzulegen und sorgfältig zu verstecken.
Nach einiger Zeit erreichte der Weg das erste Mal den Winooski Fluß und während ich auf die schlammverkrusteten Ufer starrte, auf Inseln, die nur noch zur Hälfte vorhanden waren, änderte sich meine Stimmung. Trotz Sonne, offener Landschaft, Weite... fühlte ich mich bedroht, als wenn im nächsten Moment Etwas... ich wusste nicht was, passieren könnte und fast wie gejagt, eilte ich weiter. Das nächste Wäldchen wurde zur Qual, egal daß es nicht einmal dicht genug war und man von allen Seiten Fluß und Feld durchscheinen sehen konnte, ich fühlte mich beobachtet, in Gefahr, als hinge eine unsichtbare Drohung in der Luft.
Nach einer wilden Fahrt erreichte ich das Ende des Waldes und der Weg führte direkt zum Fluß zurück. Nun konnte ich wieder frei atmen, machte sogar ein paar idyllische Fotos von Fluß und gelben Bäumen, doch beruhigen konnte ich mich nicht. Was wenn es, jemand, etwas mich einholen würde und wie jemand, der vor einem herannahenden Zug davoneilt, machte ich mich auf den Rest des Weges durchzurasen... mich hin und wieder umdrehend. Ich glaube wenn in dem Augenblick ein Jogger entlang gelaufen wäre, ich hätte einen Anfall bekommen.
Schnell genug erreichte ich das Gelände des Ethan Allen Museums und jedes Gefühl der Bedrohung verschwand als wäre es nie dagewesen, stattdessen fühlte ich nun überwältigende Freude, Dankbarkeit und Glück gerade noch einmal davongekommen zu sein.
Für die anderen Museumsgäste muss ich einen seltsamen Anblick geboten haben, mit hochrotem Kopf, Tränen und außer Atem hing ich über einem der Picknicktische gebeugt, bis ich einmal mehr das Gefühl hatte beobachtet zu werden... aber es waren die freundlichen Augen eines Eichhörnchen, das sich ganz nah an mich herangewagt hatte. Während ich meinen Kopf hob, begegneten sich unsere Blicke sekundenlang und ich wunderte mich einmal mehr, ob Tiere eigentlich mehr sehen können als Menschen. Wusste das Eichhörnchen was dieses Etwas war, daß mir solchen Schrecken versetzt hatte?
Für einen Augenblick überlegte ich, ob ich ins Museum gehen sollte und nach den Geschichten über das Intervale von den lokalen Ureinwohnern fragen sollte... aber dann verwarf ich den Gedanken wieder, zum Einen würde ich wahrscheinlich für verrückt gehalten werden, wenn ich fragen würde, ob die Abenaki Indianer von einer Bedrohung an der Wegbiegung neben dem Wald wussten, zum Anderen fürchtete ich mich davor, daß die Antwort: Ja! lauten könnte. Also weg-erklärte ich mein Erlebnis, denn wahrscheinlich war ich nur traurig aufgrund der Zerstörungen des Flusses, stellte mir die Schlammlawinen zu lebhaft vor, hatte Kopfschmerzen oder bekam eine Erkältung und das erzeugte eine Illusion der Bedrohung.
Im Hinterkopf dachte ich jedoch auch darüber nach, daß Physiker derzeit an Neutrinos forschen, deren Energiefelder sich verändern, ohne mit anderen Partikeln in direkten Kontakt zu kommen, was vielleicht einmal sogenannte „Geister-Erscheinungen“ erklären könnte, denn letzlich ist alles nur eine Frage der Energie.
Ein wenig dachte ich auch darüber nach, wieviele Menschen im Laufe der Jahrhunderte dem Lockruf des fruchtbaren Intervale-Landes gefolgt waren um Ackerbau zu betreiben (laut Museum konnten 700 Jahre landwirtschaftlicher Nutzung nachgewiesen werden). Heutzutage wohnt niemand mehr dort und es handelt sich nurmehr um ein finanzielles Grab... doch wieviele Menschen starben früher bei den Versuchen sich aus den rapide steigenden Fluten des Winooskis zu retten?
Als ich nach Hause kam suchte ich trotz Gänsehaut nach Abenaki Geschichten aus der Gegend und fand die Sage von M-ska-gwe-demoos, der Frau aus dem Sumpf... deren Beschreibung mich sehr an die irischen Banshees... Moorhexen erinnerte.
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