Nachdem ich eigentlich auf den katholischen Ehrenfriedhof zurückkehren wollte, um noch eine Ecke des massiven, riesigen Geländes kennenzulernen, entschied ich mich quasi im letzten Moment stattdessen den nur wenig kleineren (33 Hektar) jüdischen Friedhof an der Okopowa Straße zu besuchen.
Da dieser u.a. als Museum dient, bezahlt man einen Eintritt von 10 Zloty und wurde gerade am Anfang vor den Gefahren durch lose Gräber, Steine, Mauern gewarnt, bzw. es gibt abgesperrte Bereiche. Das verliert sich aber schnell im Laufe des restlichen Friedhofs, so daß man selbst entscheiden muss, was sicher ist und was man lieber umgeht.
Auf dem Gelände befinden sich ca. 200 000 Gräber, darunter auch Massengräber aus der Zeit des Warschauer Ghettos, außerdem gibt es einen Ehrenfriedhof für polnisch-jüdische Soldaten, sowie einen neuen Bereich, der heutzutage genutzt wird.
Auf dem derzeit geschlossenen, jüdischen Armenfriedhof ‚Bródno‘ in Praga, liegen zwar mehr Menschen begraben, doch die Fläche beträgt dort nur 5 Hektar.
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Auf dem derzeit geschlossenen, jüdischen Armenfriedhof ‚Bródno‘ in Praga, liegen zwar mehr Menschen begraben, doch die Fläche beträgt dort nur 5 Hektar.
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Waren es in Frankfurt besonders die segnenden Hände, die immer wieder auftauchten, so sieht man in Warschau eher die Hand des Wohltäters, der Geld in eine Tzedakah-Box steckt, neben den üblichen Symbolen von Levitenkanne, Chanukka-Leuchter und Löwen.
Ich suchte jedoch nach Steinen mit dem Familiennamen als Grabzeichen und war froh, als ich eine kleine Sammlung fand.
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Sie befand sich in einer mit Brennesseln durchwachsenden Wiese, so daß ich sicher einen seltsamen Anblick abgab, so aufgeregt, die Kamera fest in der Hand und zwischendurch fluchend, wenn mich einen Nessel wieder besonders stark erwischt hatte (oder ich sie).
Ich spreche kein Hebräisch, insofern konnte ich nur raten, was für Familiennamen es letztlich waren, aber ich nehme an, eine Familie Eichhorn oder Tannenbaum mögen darunter gewesen sein. - Genau diese Zeichen begegneten mir Tage später im Ethnografischen Museum noch einmal, denn eine Künstlerin hatte sich die gleiche Reihe an Grabsteinen als Inspiration für eine Scherenschnitt-Ausstellung ausgesucht.
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Diese Skulptur hat mich von allen Völkermord-Gedenkstätten auf dem Friedhof am Meisten berührt. Janusz Korczak, der Leiter des jüdischen Waisenhauses begleitet seine Kinder in den Tod im Vernichtungslager Treblinka.
Der Friedhof scheint mitunter in gewissen Quadranten vom Wald befreit zu werden, die dann einen traurigen Anblick abgeben, mit ihren zerstörten Grabstellen, bis diese dann letztlich von hohen Wiesen überwachsen werden.
Natürlich zerstört nicht nur der Wald den Friedhof, sondern viele Steine sind voller Einschusslöcher aus dem 2.Weltkrieg.
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Natürlich zerstört nicht nur der Wald den Friedhof, sondern viele Steine sind voller Einschusslöcher aus dem 2.Weltkrieg.
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Ohnehin ist Geschichte auf einmal ganz nahe, wenn man diese 200 000 Gräber sieht und sich überlegt, daß mindestens noch mal genauso viele Menschen aus dem Warschauer Ghetto eben nicht hier liegen, sondern in den deutschen Gaskammern ermordet wurden. - Und der Friedhof gehört dieser zerstörten, verschwundenen Gemeinde, deren Menschen nicht mehr da sind, um sich um dessen Pflege zu kümmern - in einer Stadt, die ihre komplette Altstadt wieder aufgebaut hat, aber nicht ein einziges Haus des Warschauer Ghettos.
Mit diesen Gedanken verließ ich die am stärksten überwaldeten Bereiche des Geländes und sah mir lieber die prunkvollen Ehrengräber der Religionsführer, Reichen und Berühmten an, die sich nur wenig von ihren katholischen Nachbarn unterschieden.
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Dann fiel mein Blick plötzlich auf meine Füße und Beine, die von Zecken übersäht waren. Ich konnte sie zum Glück alle entfernen bevor sie sich richtig festbissen, aber das nahm ich als Zeichen meinen Besuch zu beenden und schnell noch einmal ins Hotel zurückzukehren um etwaige übersehende Spinnentierchen abzuduschen.
Während dieser Woche in Warschau kamen wir leider nicht dazu das Jüdische Museum (und viele andere der großen Museen) zu besuchen - das wartet auf uns bei einem zukünftigen Aufenthalt in der polnischen Hauptstadt.
Sehr interessant! Schöne Bilder und sehr schöne Grabsteine... wobei man natürlich einen jüdischen Friedhof (noch dazu in Polen) nie mit dem gleichen gemütlich-melancholischen Gefühl besuchen kann wie einen christlichen.
AntwortenLöschenIch muss gestehen, ich hab noch nie darüber nachgedacht, dass all die deportierten und ermordeten Juden ja nicht auf ihren Friedhöfen begraben sind. Immerhin darüber, dass viele jüdische Gemeinden einfach nicht mehr existent sind... wo wir früher mal gewohnt haben, mussten mal aus Sicherheitsgründen Bäume auf dem jüdischen Friedhof gefällt werden und die Erlaubnis dazu hat eine Gemeinde ganz woanders erteilt, weil die zuständig war - obwohl der Ort immerhin eine Kreisstadt war.
Ja, man sollte sich wohl viel öfter jüdische Friedhöfe angucken.
Warschaus jüdische Bevölkerung betrug ein Drittel der Vorkriegs-Gesamtbevölkerung der Stadt. Danach schickte auch Stalin Überlebende noch in Arbeitslager, so daß die heutige, kleine Gemeinde zum Großteil keine Wurzeln mehr in der Stadt hat.
LöschenDer Verlust ist eigentlich unvorstellbar, dieser Menschen, die sich selbst auf ihren Grabsteinen am Liebsten mit Büchern und Musikinstrumenten darstellten, statt mit Kanonen oder sonstigen Machtsymbolen …