Als ich in Kanada lebte war das Wort „communtiy“ das meist gehörte in öffentlichen Redefloskeln und dem Selbstverständnis der Menschen. Es wurde so oft strapaziert, daß es mir gehörig auf die Nerven ging, wenn z.B. in einem kanadischen Werbespot für gesponsorte Patenkinder, ein afrikanisches Mädchen in ihrem afrikanischen Dorf erklärt, sie lernt lesen um ihrer Gemeinschaft - community zu helfen. Schließlich lernt sie zuerst und mit jedem Recht für sich selbst.
In Vermont dagegen heißt das Zauberwort „local".
Die lokale Welle kam gleichzeitig mit dem Bio-Essen auf, fand überall eine ähnliche Akzeptanz, doch in Vermont wurde sie zur Religion. Es gibt ein Gesetz, das lokale Produkte als in Vermont oder in einem Radius von 30 Meilen um einen Ort herum produziert, definiert, kaum ein Ladengeschäft in Burlingtons Innenstadt kommt ohne den Zusatz „locally owned“ oder „locally operated“ auf dem Türschild aus und out-of-state (also nicht aus Vermont) oder noch schlimmer aus Kanada ist eine echte Beleidigung. Offenbar mischte sich der local-Trend mit einem tiefverwurzelten Gefühl der Vermonter, daß man ohnehin bequem auf den Rest der Welt verzichten kann. So wird z.B. auch der Staatsgründer Ethan Allen von vielen „echten“ Vermontern als Opportunist angesehen, schließlich stammte seine Familie aus Connecticut und selbst wenn die Allens mittlerweile seit Jahrhunderten in Vermont leben, werden sie immer noch als kürzlich Hinzugezogene belächelt.
Ich bin nicht gegen die lokale Bewegung an sich... ich mag die Idee Produkte von vor Ort zu kaufen, denn man unterstützt in jedem Fall die Bauernhöfe der Gegend und nicht nur die Gewinnmargen gesichtsloser Großkonzerne. Was die Qualität angeht, sieht die Sache schon etwas schwieriger aus. Ich hoffe, daß der Farmer von um die Ecke, so wie er sagt Biogemüse anbaut und ich hoffe, daß er nicht einfach was vom Großmarkt dazukauft, wenn seine Ernte schlecht ist, meine Kontrollmöglichkeiten sind da aber gering. Dazu kommt das ständige Argument der besseren CO2 Bilanz, denn ein Apfel in Vermont produziert und konsumiert, muß doch logischerweise weniger CO2 beim Transport zum Markt erzeugen als ein Apfel aus Venezuela, oder? Nun an sich weiß man seit 2009, daß dem nicht so sein kann. Der Vermonter Apfel kommt von einer kleinen Farm und wird mit einem vermutlich kleineren Transporter zum Bauernmarkt gefahren und dort verkauft. Dazu kommen viele andere Farmen, die allesamt mit ihren kleinen Transportern und Äpfeln dorthin tuckern. Alle zusammen transportieren vielleicht halb soviel Äpfel, wie in einen Jumbo-Jet aus Venezuela passen, der dann in Riesentrucks an die Supermärkte geliefert wird. Wenn man die Bilanz pro Apfel herunterrechnet, dann gewinnt immer der größte Transporter von der größten Farm. Zudem werden die Transporte aus dem Ausland auf jeden Fall bei Grenzeintritt überprüft.
Ungeachtet dessen, wird natürlich weiterhin überall mit der besseren CO2 Bilanz geworben... Die Studie von 2009 besagte außerdem, daß Bio-Bauernhöfe in einem Industrieland nicht kostendeckend arbeiten können (das Problem der hohen Personalkosten) daß viele Biolandwirte keine entsprechende Ausbildung vorzuweisen haben und es wurde insgesamt in Frage gestellt, ob Teile der Erde die monatelang unter Schnee liegen, überhaupt Landwirtschaft betreiben sollten, denn kommerzielle Gewächshäuser sind pure Energie- und Ressourcenverschwendung und außerdem, die Farmersfamilien in Venezuela wollen vielleicht auch leben.
All das interessiert hier natürlich niemanden, stattdessen übt man täglich, wie man noch lokaler werden kann. Vor kurzem erreichte uns ein Schreiben unserer Krankenversicherung „Blaues Kreuz zu Vermont“ die uns schrieben, sie hätten ihre Kunden gefragt und viele seien schon seit 30 Jahren bei „Blaues Kreuz zu Vermont“ versichert, wüssten aber nicht, daß „Blaues Kreuz zu Vermont“ aus Vermont stammt. Diese Information würden sie hiermit gerne nachreichen und außerdem versichern, daß auch der Vorsitzende der Versicherung in Barre, Vermont geboren wurde. Einem Zeitungsbericht über eine Familie, die ein HIV infiziertes Mädchen aus Haiti adoptierten, folgten überwältigende Kommentare zum Thema, warum sie denn bitteschön kein Kind aus Vermont adoptierten, das wäre doch ihre erste Bürgerpflicht gewesen (Ich habe versucht den Artikel zu verlinken, aber sämtliche Artikel der Burlington Free Press werden nach 30 Tagen ohne Fotos und Kommentare automatisch archiviert und der Zugang zum Archiv kostet 11,95 $ für 24 Stunden.)
Spenden für Japan konnten selbst die Vermonter die Dringlichkeit nicht absprechen, sie gaben aber zu bedenken, daß es auch in Vermont obdachlose und arme Menschen gibt, denen man (vielleicht) zuerst helfen sollte. Eine US - weite Bäckereikette in der Innenstadt (nach dem Vorbild von Starbucks) wollte man auch nicht haben, dort sollte eine lokale Bäckerei einziehen... (es gibt ungefähr 30 leere Ladengeschäfte in der Church St. allein... es könnte also genug Platz für Lokalbäcker und Hinzugezogene geben.) Eine Dame, die Ahornsirup Brot für den Bauernmarkt herstellte, also an sich alles richtig machte und lokal produzierte, zog sich den ganzen Ärger der Vermonter zu, da sie für ihr Brot Sirup aus Kanada bezog. Sie konnte zwar nachweisen, daß die von ihr benötigte Qualität (noch) nicht von den Farmen vor Ort hergestellt wurde, das bewahrte sie aber nicht vor Boycott-Aufrufen. Verschwiegen wurde dabei selbstverständlich, daß kanadischer Ahornsirup bei gleicher Qualität wesentlich billiger ist.
Meine eigene Entwicklung dem Phänomen gegenüber begann mit einer „Das ist ja nett“ Reaktion, die sich langsam zu genervt, supergenervt ... allergische Reaktionen auf das Wort ‚local’ steigerten und sich letzlich zu einer weitesgehenden Ignoranz ausformten. Interessehalber sammle ich die krassesten Beispiele und entgegne der lauernden Frage, ob ich etwa von außerhalb von Vermont stamme mit einem äußerst erleichterten: „Dear, I’m even out-of-continent.“
Und ich dachte immer die Sonnen-Energie käme von ganz weit oben.
Medizin für die lokale Wirtschaft
Autoaufkleber. Irgendwo klebte auch ein Schild mit der Aufschrift: ‚Rich Hippie’ es passte.
Farmliste der Blue Bird Tavern
Der einzige Teil von Kanada, der in Burlington immer willkommen ist.
Oh Mann, das ist ja krass! Man kann's auch wirklich übertreiben mit "local"... ist aber ein interessanter Gegen-Trend zur allgemeinen Globalisierung. Auch in den zwischenmenschlichen Beziehungen hat sich da einiges verändert, meine ich: Weniger Höflichkeit und Fairness gegenüber Fremden, dafür bedingungsloser Rückhalt für die eigene Familie. Da wird gelogen und betrogen, nur um die eigene Sippe zu decken. Das äußert sich dann in der Schule durch das berühmte "Mein Kind ist nicht blöd".
AntwortenLöschenNaja, daran hat mich deine unglaubliche "local"-Sammlung gerade erinnert.
Interessant auch die Studio zu den CO2-Emissionen. Ich habe gerade selbst ein bisschen gegooglet, und bin auf zwei Artikel zum Thema gestoßen. Dort wird allerdings die monatelange Kühlung der heimischen Äpfel mit eingerechnet und als Hauptgrund für die hohen Emissionen gesehen. Insofern ist im Herbst dann wohl tatsächlich "eat local" angesagt. ;-)
Ja, wenn man dann also im Herbst die Äpfel direkt von der Plantage holt und selbst nach Hause fährt, dann hat man keine Personalkosten und die Fahrtkosten fallen auch weg, da man ja eh vom Supermarkt auch irgendwie hätte nach Hause kommen müssen. Und das lagert man sich dann selbst im Keller ein.
AntwortenLöschenNa ja, ein paar Fragen sind bei der Studie natürlich noch offen, denn wie kommen die Äpfel überhaupt erst einmal auf das Schiff und während der gesamten Fahrt muss auch gekühlt werden... aber all das ist wohl trotzdem noch billiger und klimaverträglicher als heimisches Obst.
Ich bin auch kein besonderer Globalisierungsliebhaber, aber ich denke doch, daß sich global und lokal immer in einem Gleichgewicht halten sollten, denn nur die Welt sehen und den eigenen Hinterhof vergessen, funktioniert nicht, aber die Welt ignorieren und den Hinterhof als Maß aller Dinge zu machen, kann so auch nicht gehen... :)