… oder auch wie wir einen weniger steilen Aufstieg im Wurmtal suchten und eine seit drei Wochen vermisste Katze fanden.
Ich hatte die Geschehnisse gestern bereits in Twitter und Instagram erwähnt, aber hier habe ich vielleicht die Möglichkeit, sie auch für mich endlich gedanklich abzuschließen:
Es begann mit unserer normalen Wochenend-Runde durch das Wurmtal.
Dieses kleine Naturschutzgebiet ist perfekt für Spaziergänge, aufgrund der Pandemie aber mittlerweile meist so gut besucht, daß wir eher die kleinen versteckten Pfade wählen.
An diesem Tag führte uns ein solcher Pfad jedoch zuerst zu einem wunderschönen Aussichtspunkt und dann in eine Sackgasse, so daß wir umdrehen und letztlich an der Aussichtsplattform der schwarzen Halde, direkt neben den Dinoeiern landeten. Ein echter Besuchermagnet und auch an diesem Tag waren gleichzeitig mindestens 50 Leute und vermutlich ebenso viele Hunde ohne Leine dort unterwegs.
Ich wollte schnell weitergehen und einen verwunschenen Pfad vorbei an einem Farnfeld hinauf in unser Wohngebiet wählen, aber der Mann war dagegen, denn dieser Pfad ist ganz besonders steil und mein linkes Knie seit einer Entzündung noch nicht wieder vollständig genesen. Also wählten wir einen Pferdeweg, der langgestreckt und gemächlich direkt neben der Aussichtplattform die Halde hinaufführt. Auf den ersten Metern befindet sich ein grob umzäuntes Feuchtbiotop, das den Hunden als Schlammloch dient, um das wir aber herumlaufen mussten, bis wir am Ende des Feuchtgebiets etwas sahen, was einer Katze ähnelte.
Neugierig gingen wir näher und tatsächlich, es war eine arg verfilzte Langhaarkatze, offenbar zu schwach um sich überhaupt noch viel zu bewegen. Kilometerweit weg von den nächsten Häusern, war es sicher nicht unmöglich, daß hier eine Katze ihr Jagdgebiet hatte, aber nicht in diesem Zustand, wir mussten sie mitnehmen.
Also lief A. nach Hause, und holte einen Transportkorb, Futter und Wasser und ich wartete so lange bei der Katze. Zuerst setzte ich mich direkt neben sie, aber als ich sah, daß sie voller dicker Zecken hing und ich kein Zeckenschutz verwendet hatte, stand ich doch lieber wieder auf - redete aber die ganze Zeit mit ihr. Vorher stand sie eher und hörte den Hunden zu, jetzt lag sie stattdessen und war halb am Schlafen, als es anfing leicht zu regnen, schien sie darauf nicht einmal zu reagieren.
Offenbar war sie damit zufrieden, daß ich mich jetzt kümmerte - und das musste ich auch, als ein kräftiger großer Hund plötzlich auf uns zustürmte, ohne daß ein Besitzer zu sehen war. Zum Glück hörte der Hund auf mich, als ich ihm erklärte, daß er wieder gehen muss, ein kleiner Schäferhundwelpe, der mit ihm spielen wollte, war aber auch viel interessanter als das Fellbündel neben mir.
Ein paar Leute wunderten sich zwar warum ich da mitten im Biotop stand, aber es sprach mich niemand an und ich bin mir nicht sicher, ob irgendjemand sonst die Katze bemerkte oder für bemerkenswert hielt.
Letztlich tauchte A. wieder aufgeregt auf, während meine Gedanken bisher nur ‚Katze - retten‘ waren, hatte er sich schon Gedanken zu Unterbringung, Eigentümersuche, Tierarzt und haben wir jetzt vier Katzen? gemacht. Als erstes schnauzte er ein paar Leute an, daß sie ihre Hunde anleinen sollen, damit wir die Katze fangen können, dann brachte er Korb, Wasser und Futter.
Das frische Wasser ignorierte die Katze erst einmal, doch das Trockenfutter war der Hit. Wir stellten den Rest vom Trockenfutter in den Korb, in der Hoffnung, daß sie von alleine hineingehen würde und erst dann sahen wir, daß sie das tatsächlich gar nicht konnte, da sich Brombeerranken mehrfach um Hinterbeine und Bauch geschlungen hatten. Sie war komplett gefangen und gar nicht in der Lage sich noch zu bewegen.
Also stellten wir das Trockenfutter wieder neben sie, sie fraß und ich nutzte die Zeit um mühsam mit dem Schlüssel die Ranken durchzusäbeln.
Von ihr konnten wir sie ohne Gartenschere nicht entfernen, also hob ich sie samt Ranken in den Korb. Sie wog fast nichts und ich wollte mir gar nicht vorstellen, wie lange sie hier schon ohne Futter und kaum Wasser gefangen war.
So schnell es ging, liefen wir zurück nach Hause, sie fraß dabei langsam am Trockenfutter, wann immer das Schälchen leer war, begann sie sich aufzuregen und so füllten wir jeweils eine kleine Menge nach. Natürlich hatte sie großen Hunger, aber nach so langer Zeit ohne Futter kann man eben auch nicht mit großen Portionen beginnen.
Kaum waren wir zu Hause kam unsere Nachbarin an und sie versorgte unseren Fund mit warmen Zuckerwasser, das sie ihr mit der Spritze ins Maul tropfte.
Dazu gab es etwas kalorienreiches Astronautenfutter von Linus‘ Vorrat (wenn er wegen seiner Zahnschmerzen mal wieder nichts frisst), und etwas weiche Katzenfutter Pastete. Mit vereinten Kräften und der Rosenschere schafften wir es auch, sie vom Großteil der Brombeerranken zu befreien, so daß die Katze zum ersten Mal seit wer weiß wie lange, frei herumlaufen konnte, was sie auch sofort in unserem Gästezimmer ausnutzte.
Da erinnerte mich dunkel an einen ‚Katze vermisst‘ Zettel, der an unserem Glascontainer hing, drei Häuser die Straße hinauf, eine alte, halbblinde Perserkatze war verschwunden.
Auf gut Glück lief A. hin um ein Foto zu machen und mit unserer Fundkatze zu vergleichen und rief sofort an, das sei auf jeden Fall die gesuchte Katze.
Also riefen wir die Eigentümerin an, eine resolute ältere Dame, die gar nicht glauben konnte, daß ihre Katze so weit weg gefunden wurde und jetzt wieder da war. Ihre ‚July‘ ist 19 Jahre alt, war täglich draußen, saß aber meistens nur direkt neben der Terrasse, bis sie am 26. März plötzlich verschwand. Danach gab es Schneestürme, Anfang April hatten wir überall eine Handbreit Neuschnee, täglich Bodenfrost und doch hat die Katze all das überstanden - eigentlich unglaublich.
Schnell gingen wir mit der Katze im Transportkorb die drei Häuser weiter und überreichten July an ihre überglückliche Besitzerin, die ganz aufgeregt war, wir waren aufgeregt, die Katze miaute ununterbrochen, es war ein emotionaler Moment - natürlich trugen wir dennoch FFP2 Masken. Ich öffnete den Transportkorb, July lief auf ihre Besitzerin zu, da gab es keine Zweifel wo sie hingehörte, und wir wollten uns nur schnell verabschieden und gehen.
Es war dann aber meine Nachbarin, die den Kontakt vertiefte, sofort das weitere Vorgehen mit der Tochter der Besitzerin besprach, Tierarzt, Rasur, Zeckenentfernung usw. und die Tochter versprach auch uns auf dem Laufenden zu halten, wie es mit July nun weitergeht.
Ich wäre nicht überrascht, wenn der Tierarzt Nierenschaden, Organversagen usw. feststellt und sagt, daß es eigentlich Quälerei ist, das Tier noch leiden zu lassen - aber hätte irgendwer glauben können, daß eine 19-jährige Katze bei Schnee, Kälte und ohne Futter drei Wochen übersteht?
Da wünsche ich der kleinen Überlebenskünstlerin viel Glück und noch eine gute Zeit - egal wie lang oder kurz - zu Hause …